Das Schweizer Dorf Blatten ist wegen eines drohenden Bergsturzes komplett evakuiert worden. Zwei bis fünf Millionen Kubikmeter Fels drohen ins Tal niederzugehen. Schon in den letzten Tagen waren bereits zehntausende Kubikmeter Geröll abgestürzt: Der Ostgrat des Kleinen Nesthorns ist bereits kollabiert, ein Stück des Gipfels abgebrochen.
300 Personen sind von den Evakuierungsmaßnahmen betroffen, zudem auch viele Tiere von Bauernhöfen. Als Letzte wurde die auf einem Bein lahmende Kuh "Loni" per Helikopter aus der Gefahrenzone geflogen. Die in Sicherheit gebrachten Menschen sind größtenteils in den Nachbargemeinden untergekommen.
Die Behörden hoffen laut "20 Minuten" jetzt, dass der Berg weiter in Stücken herunterkommt und nicht alles auf einmal, bereiten sich aber auf ein "allfälliges Großereignis" über die Grenzen des Lötschentals hinaus vor.
Ein Wärmebild zeigt, dass sich der Gipfelbereich aktuell noch rund einen Meter pro Tag bewegt – eine Verlangsamung im Vergleich zum Vortag, wo über drei Meter gemessen wurden. Jedoch nehme die Geschwindigkeit weiter talwärts zu.
Es gibt zwei zentrale Gefahrenzonen am kleinen Nesthorn: Die instabile Felsmasse in Gipfelnähe und die Gletscherfront, an der es zu Eisabbrüchen kommt. Der gesamte Gletscherkörper bewege sich mit einer Geschwindigkeit von 0,5 bis 0,8 Meter pro Tag.
Das Horror-Szenario: "Das Material vom Gipfel kann auf den Gletscher fallen und das Eis mitreißen. Das ist zurzeit unser größtes Sorgenkind", sagt der mit der geologischen Überwachung befasste Ingenieur Alban Brigger in einer Pressekonferenz.
Die Situation am kleinen Nesthorn einzuschätzen, sei jedoch sehr schwierig. Der Hang wird von einer Kamera überwacht, Nebel verhindert aber eine klare Sicht auf den Berg. Auch beim Ostgrat hindert der Nebel genauere Analysen. Auf der Kante zum Nordgrat werden ständig kleinere Abbrüche verzeichnet.
Langfristig arbeite man natürlich auf eine Rückkehr hin, derzeit ist die Lage laut den Spezialisten aber noch viel zu unsicher. So wurde beim Felssturz in der Nacht auf Dienstag auch ein GPS-Gerät mitgerissen, das für Messungen im Hang stationiert wurde.
Genauere und vielfältigere Messdaten sollen in den nächsten Tagen aber eine exaktere Gefahrenbewertung und darauf basierende Massnahme erlauben. Vor allem die Fragen, wie weit etwaige Murgänge kommen würden und wo sich der Schutt ablagern würde, sind laut Ingenieur Alban Brigger zentral.
Durch den Klimawandel wird die Zahl von Extremwetter-Ereignissen im Alpenraum weiter zunehmen, warnen Klimatologen. Angesichts des Klimawandels kann nicht ausgeschlossen werden, dass wir in den kommenden Jahren vermehrt einzelne alpine Wohngebiete in Schweizer Tälern aufgeben müssen. Der auftauenden Permafrost auf den Gipfeln ist mit vermehrten Felsstürzen zu rechnen.
„Wir werden in den Alpen Lebensraum verlieren“Reinhard SteurerProfessor für Klimapolitik, BOKU Wien
Reinhard Steurer, Professor für Klimapolitik an der BOKU Wien, ist überzeugt, dass exponierte Regionen wohl angesichts immer häufigerer Katastrophen aufgegeben werden müssen – und das alleine schon aus dem Blickwinkel der Wirtschaftlichkeit: "Die Infrastruktur wird dort öfter zerstört werden, als man sie wieder aufbauen kann."
Steurers erschütternde Prognose: "Wir werden in den Alpen Lebensraum verlieren. Wir reden einfach noch nicht darüber, weil es so nah und deshalb so unangenehm ist." Mehr dazu hier: